Westfälische Rundschau Hagen

Day of Song: Ganz Hagen singt

Hagen. Countdown statt Glockengeläut: „10, 9, 8, 7, 6...0“ - Generalmusikdirektor Florian Ludwig lässt den Orchestermusikern den Vortritt. Sie spielen ein paar Takte vor, dann setzt die Masse Mensch auf dem Rathausplatz ein. „Glück auf, der Steiger kommt“ erklingt pünktlich um 12.10 Uhr vor knallblauem Himmel aus über achthundert Kehlen. Hagen singt wie mit einer Stimme: laut und schräg, leise und inbrünstig, geschult und brüchig. Es war alles egal, jede(r) durfte und konnte mitsingen.

Langsam kriecht die Gänsehaut an den Beinen hoch. Sie verbreitet sich über die Arme, bis zum Haaransatz, als bei „Komm’ zur Ruhr’ orangefarbene Fähnchen hin und her schwenken. Da springt der Funke vollends über. „Es ist schon toll zu erleben, was man mit Musik erreichen kann“, findet Melanie, die zusammen mit Tochter Clara, Oma Conny und Opa Ulrich zum „Day of song“ gekommen ist. Hagen ist an dem Samstag ein gefühltes Stück Kulturhauptstadt. „Wir sind Kulturhauptstadt“, insistieren Melanie & Co lachend.

Dagegen klangen die Stimmen zuvor bei anspruchsvolleren Stücken wie dem Gefangenenchor aus Nabucco von Guiseppe Verdi oder auch „Der Lindenbaum“ noch verhalten. GMD Ludwig, der das Liedgut für den Tag in einem Textbuch zusammengefasst hatte, verlangte den Hagenerinnen und Hagenern einiges ab. „Ohne Mut geht heute nichts“, scherzte er gut gelaunt von der Bühne herunter.

Nur die „Ode an Hagen“ gerät zur echten Bewährungsprobe, text- und stimmsichere Chöre auf den Podesten geben bei bekannten Stücken den Ton an. Das Hagen-Lied ist für alle neu - und dann soll’s noch ein Kanon sein. Puh. An der Zeile „Du hast Profil“ beißt sich die versammelte Sängerschar zunächst die Zähne aus. Der GMD leitet an: „Das Profil ist nicht so hoch...“ Die Aussage hängt ein paar Sekunden in der Luft, viele lachen. Heute nimmt man nichts krumm: nicht Ironie, keine schiefen Töne. Trotzdem: nochmals von vorn. Dann klappt’s reibungslos, sogar im Kanon. Na bitte.

„So harmonisch habe ich Hagen noch nicht erlebt“, hatte Oberbürgermeister Jörg Dehm verkündet - und an der Stelle ein paar Buhrufe kassiert. Da versteht Hagen doch keinen Spaß.

Das ist schnell vergessen und als die Kinderchöre „We’re the world“ vorgeben, fällt die Menge ein. Der Refrain wird zur Endlosschleife, die Zeit steht still, das Gemeinschaftsgefühl trägt durch den Rest des Großkonzertes. Obwohl sich der Platz bereits ob der sengenden Sonne etwas geleert hat, schlägt die Begeisterung nochmal hohe Wogen, als OB Dehm zur Wiederholung der Ruhrgebietshymne aufruft. Die Band „Rockaholix“ aus Schwerte legt sich erneut ins Zeug und in die Saiten. Klasse.

Der „Day of song“ setzt sich anschließend fort auf Plätzen, in der Volmegalerie, in Weinkellern, Kirchen und Altenheimen. Die Macht der vertonten Worte, Spaß am gemeinschaftlichen Singen - besseres Marketing kann sich die Chorlandschaft in Hagen, die vor allem über eins klagt: fehlenden Nachwuchs, gar nicht wünschen.

Zurück